Erlebnisbericht

Am 1. Oktober 2004 war es endlich so weit! Der Moot fing an. An diesem Tag stand die Akte auf der Homepage der Pace University bereit. Ebenfalls am 1. Oktober zogen wir, das Mainzer Team, in unser Büro im Rewi ein. Während der ersten Wochen stand die Einarbeitung in den Fall an. Wer ein guter Anwalt sein will, muss erst einmal das Problem des Mandanten verstehen. Das Problem an den Problemen unseres fiktiven Mandanten war, dass es sich um Fragen handelte, die sich ein normaler Student nicht stellt. Keiner von uns hatte jemals 500 Tonnen Kakao gekauft und keiner wusste, was es bedeutet, wenn ein Schokoladenhersteller fünf Monate auf dieWare warten muss. Noch weniger Ahnung hatten wir von der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit und konkret von der Aufrechnung im Verfahren. Zu allem Überfluss verlangte unser Coach Ivo Bach ab der zweiten Woche in regelmäßigen Abständen einen aktuellen "Draft" zur Kontrolle. Nach einiger Zeit war man dann aber auch drin im Fall. Wir haben ja den ganzen Tag nichts anderes gemacht. Das Büro stand voll mit Kommentaren zum UN-Kaufrecht und zur Schiedsgerichtsbarkeit. So langsam aber sicher entstand dann auch unser erster Schriftsatz. Eine kurze Schilderung, wie sich die Seiten füllten: Wir arbeiteten zunächst in 2er Teams. Jedes Team war zuständig für einen bestimmten Abschnitt. Nach einigen Tagen setzten wir uns zusammen und besprachen unsere Vorschläge. Dann begannen die Diskussionen. Um es kurz zu sagen, wir waren uns sehr selten einig. Da wir 4 Teammitglieder waren, ergab sich bedauernswerterweise sehr häufig eine Patt-Situation. Bedauernswert war das insbesondere für unseren Coach, denn die Nummer seines Büros war diejenige, die unser Telefon fast schon automatisch wählte, wenn wir den Hörer abnahmen.

Glücklicherweise konnten wir auf viele Coaches zurückgreifen. Zunächst einmal hat unser Chef, Prof. Huber, einige Male den Schriftsatz gelesen, um ihn uns teilweise durchgestrichen zurückzugeben. Jedoch nützten selbst seitenlange Schlangenlinien, um den Inhalt präziser und verständlicher zu formulieren. Außerdem half uns Friedrich Blase, ein jahrelanger Unterstützer des Mainzer Teams, mit der Formulierung einiger Passagen und einer gewissen meditativen Identifikation mit dem Schiedsrichter bzw. mit demjenigen, der unser Memo bewertete. Zu guter Letzt machten sich einige Anwälte von Baker & McKenzie Gedanken, wie man unseren Schriftsatz noch praxisnäher und überzeugender schreiben könnte. Anfang Dezember war dann auch tatsächlich unser "Memorandum for Claimant" fertig und wurde nach Wien geschickt. Unser Werk ging zum Team der City University, Hong Kong. Wir bekamen den Schriftsatz der University of New South Wales zugesendet. Die Klageerwiderung war dann nichts Besonderes mehr. Wir hatten ja schon einige Monate Übung hinter uns. Was Neues war dann aber die Vorbereitung auf die mündlichen Verhandlungen ab Ende Januar. Die Arbeit änderte sich deutlich und war wesentlich angenehmer. Es ging auf Wien zu. Wir hatten jetzt eine Probeverhandlung nach der nächsten, um unser Plädoyer einzuüben und auf Fragen reagieren zu können. Bevor wir nach Wien fuhren, hatten wir eigentlich fast alle deutschen Teams kennengelernt. Man traf sich bei Veranstaltungen in Frankfurter Kanzleien oder auch direkt an unserer Uni. Die intensivsten Tage der Vorbereitung fanden in München statt, als wir an einem Wochenende gleich sechs Verhandlungen hatten.

Eine Woche vor Ostern war es dann so weit: Wir fuhren nach Wien, um dort über 150 Teams aus aller Welt zu treffen, die im letzten halben Jahr auch nichts Besseres zu tun hatten, als sich mit unseren fiktiven Mandanten und ihren Problemen zu beschäftigen. Empfangen wurden wir donnerstags mit einer "Welcome"-Party in einem umfunktionierten, schicken Palast. Die meiner Meinung nach schönste Veranstaltung in Wien wartete dann aber am zweiten Abend auf uns. Am Abend vor der ersten Verhandlung wurden alle Teams und Schiedsrichter in einem unglaublich imposanten Wiener Theater offiziell begrüßt. Bei einem Glas Wein konnte man danach die Kollegen aus Freiburg, Australien und Amerika kennenlernen. Die erste Verhandlung führten wir gegen Hong Kong. Diejenigen, die im Publikum anfeuerten, waren mindestens so aufgeregt wie diejenigen, die vorne saßen und vortrugen. Es war echt spannender als jedes Mainz 05-Spiel (abgesehen von den Spielen am letzten Spieltag). Wir drückten alle Daumen und wussten bei jeder Frage, welche Antwort jetzt kommen würde. Leider wurden die Ergebnisse erst nach der Vorrunde und damit nach vier harten Tagen bekannt gegeben. Tatsächlich, es lief gut. Auch an den nächsten Tagen schnitten wir in den Schiedsverhandlungen gegen New South Wales, Kattowitz und New York ganz gut ab. Prof. Huber war sich ja schon am ersten Tag sicher, dass wir die Vorrunde überstehen werden. Am Tag der letzten Vorrunde war es aber offiziell. Wir konnten als erstes Mainzer Team den Einzug in die K.O.-Runde feiern. Doch zum Feiern blieb gar nicht so viel Zeit, denn schon um 9 Uhr am nächsten Morgen wartete Wellington, der Finalist des letzten Jahres. Das bedeutete, dass nur ein kurzer Abstecher ins Mapitom - die ultimative Moot-Kneipe - möglich und erlaubt war. Wellington überraschte uns mit einem Plädoyer, das sich auf ganz andere Rechtsgrundlagen stützte, als wir dies von unseren bisherigen Gegnern kannten. Dies hatte den Nachteil, dass unsere vorbereiteten Plädoyers nichts nutzten. Doch gelang es uns durch Spontaneität zu überzeugen. Der Gewinner des Duells wurde dieses Mal kurz nach der Verhandlung bekannt gegeben. Wir konnten es kaum fassen, aber die Schiedsrichter waren auf unserer Seite. Wir durften ins Achtelfinale gegen Zagreb einziehen. Auch wenn in der Runde der letzten 16 für unser Team dann Schluss war, wird dieser erfolgreiche Tag in unserer Erinnerung bleiben. Damit hatten wir nämlich wirklich nicht gerechnet.

Der Erfolg wurde die verbleibenden Tage natürlich noch kräftig gefeiert. Am letzten Abend schloss der Moot mit einem feierlichen Bankett in der Wiener Messe ab. Auch einer unserer Schriftsätze wurde ausgezeichnet. Unser "Memorandum for Claimant" räumte eine "Honorable Mention" ab. Leider ging das von uns geliebte und hoch eingeschätzte "Memorandum for Respondent" leer aus. Das war das Ende unseres Moots. Doch in Wirklichkeit lässt einen der Moot niemals mehr los. Dieser Moot verändert unglaublich viel im Leben eines normalen Studenten. Markus Altenkirch